Samstag, 18. April 2009

Die "Anspruchsgesellschaft"

Heute morgen, ich war gerade am Aufwachen, gingen mir so manche Gedanken durch den Kopf - ich hoffe, dass ich sie so weit sortieren kann, dass sie auch von den werten Leserinnen und Lesern aufgenommen werden können.
Mich bewegt noch immer die Bildungsdebatte und "meine Schule", ich habe die Situation der letzten Jahre - nicht nur, aber auch - in der Schule vor Augen und bemerke, dass wir in der sogenannten entwickelten Welt uns in einen Teufelskreis der gegenseitig gestellten Ansprüche hineinmanövriert haben.
Das zentrale Wort, unter dem versteckt an die einzelnen Menschen Ansprüche herangetragen werden, ist das Unwort des Strukturwandels bei gleichzeitiger Verknappung der Mittel. Ob das nun in der Landwirtschaft, in den ländlichen Regionen, in der Wirtschaft generell, in der Organisation des öffentlichen Dienstes, in der Bildung, an den Universitäten, des Gesundheitswesens, auch in Kirche und ihrer Organisation der Seelsorge u.s.w. u.s.f ist - überall ist die Rede von Strukturwandel. Manchmal wird dieses Wort im Sinne einer Aktivität benutzt, manchmal auch im Sinne eines Art Naturgesetzes. Auch werde ich den Eindruck nicht los, dass immer alles schneller geht und andererseits dabei eigentlich ich kaum jemanden kenne, der dieser Situation wirklich hoffnungsfroh gegenüber steht.
Auch ist mir persönlich nicht klar, worin das Ziel dieses Strukturwandels bestehen soll. Ist es ein Hinterherhecheln irgendwelcher scheinbar natürlichen Entwicklungen oder was?
Ich bin kein Militärtheoretiker, aber ich denke es war von Clausewitz, der einmal formuliert haben soll, dass man ja keinen Krieg beginnen soll, wenn man nicht weiß, wie er endet. Dieses wirklich gültige Grundprinzip strategischen Denkens ist in Analogie sehr wohl außerhalb des engeren militärischen Bereiches anwendbar.
Dieser Grundsatz aber scheint mir gegenwärtig in den Gesellschaften des Westens im Allgemeinen und in Österreich im Speziellen nicht angewendet zu werden. Es wird herumgedoktert und strukturreformiert was das Zeug hält (zumindest versucht man es), nur wird mir persönlich nicht klar, wo das strategische Ziel ist (taktische Ziele sind natürlich auszumachen, aber das große Ganze bleibt irgendwie unbestimmt und verwischt - siehe die jetzt laufende Schuldebatte). Es scheint in unserer Gesellschaft wirklich keiner zu wissen, wo der Dampfer hinlaufen soll - Entscheidungsträger verlieren sich in manchmal kopflos anmutendem Aktionismus und zurück bleibt vor allem bei den Betroffenen eine vage Orientierungs - und auch Hoffnunglosigkeit, die sich gerade mal in Proteststimmen bei Wahlen für Parteien äußern, die diese vage individuelle Unzufriedenheit zu instrumentalisieren wissen (ohne dabei wirklich zu sagen, worin ihre Vision nun besteht).
Ich denke, dass wir einen fundamentalen Politikenwechsel nötig haben. Unsere Gesellschaft braucht jetzt wirklich wieder eine Basisvision (der Struktur nach ähnlich den 50ern - NICHT den Inhalten nach - die müssten jetzt mal neu und VON der BASIS her formuliert werden) - eine Basisvision, die nicht die altbekannten Platitüden der verschiedenen Parteien in ihre Begrifflichkeiten aufnimmt. Eine Basisvision, die den Menschen wieder eine positive Generalperspektive des Lebens gibt; eine Basisvision, die dem einzelnen in, wie auch der der ganzen Gesellschaft an sich Kraft gibt, auch widrige Umstände zu meistern; eine Basisvision, die getragen ist von einem Grundvertrauen in sich selbst und in die Gesellschaft und deren einzelnen Gemeinschaften und Institutionen; eine Basisvision, in der nicht nur Solidarität von den je anderen eingefordert wird, sondern die auch die Idee einer aktiv gelebten Solidarität dem einzelnen einpflanzt.
Das heutige Lebensgefühl, wie es sich mir darstellt, aber scheint sich am besten mit einem Couplet des grossen Kabarettistenduos Qualtinger/Bronner aus den 50er Jahren einfangen zu lassen: Im Lied "Der Wülde mit seiner Maschin´" heißt es: " I woas zwoa net, wo i hin wül, owa dafia bin i friaha duat."
Was ist nun die Folge dieser, wie ich meine, die Gesellschaft durchziehende Dynamik. Schlicht und ergreifend Überforderung. Die Menschen sind überfordert - und zwar überall. Und keiner stellt das fest, keiner hilft. Die eigentlich strukturell vorliegende Überforderung wird individualisiert, diverse Beratungen werden angeboten und das Angebot ausgiebig befeiert - aber die generell krank machende Situation selbst wird nicht bearbeitet - nein im Gegenteil, man setzt, hoffentlich unbewusst, oft noch was d'rauf, wie es derzeit zum Beispiel im Schulstreit fatalerweise durch Ministerin Schmied geschieht (und möglicherweise tut sie auch nichts anderes, als selbst durch Minister Pröll widerfahrenes weitergeben; und der mag auch wieder nur ein Getriebener sein ...). Anstatt wirklich mal zuzuhören, wird mit latenten Neidgefühlen operiert und versucht, die Lufthoheit über die Stammtische zu erringen (irgendwie seltsam das Schweigen Straches in dieser Sache - ich glaube, dem hat es angesichts des Erfolges Schmieds die Sprache verschlagen).
Man könnte hier nun jede Menge weitere Beispiele anführen, beginnend bei der produzierenden (Land)Wirtschaft, über andere Bereiche des öffentlichen Dienstes, Gesundheitswesen bis zur Kirche hin.
Was jetzt gefragt wäre, wäre ein tiefgreifendes Innehalten aller, von den Jüngsten zu den Ältesten, von den "kleinsten" bis zu den "grossen Tieren" - ein Prozess des Dialoges, ein Entwickeln einer Art generellen Vision für die Republik Österreich vorerst mal Abseits ideologischer und weltanschaulicher Scheuklappen, ein Prozess des aufeinander Hörens und wirklichen Ernstnehmens. Dann, denke ich mir, würde auch die Kraft unserer Gesellschaft wieder stärker werden, auch widrige Situationen zu meistern, weil die Menschen lernen, trotz ihrer jeweiligen Unterschiede an einer Gesellschaft sich zu beteiligen, von der sie sich einerseits getragen wissen, die andererseits sie zu mitzutragen bereit sind.
God bless you

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Eine trefflicher - und leider zutreffender - Befund. Zudem füge ich noch den Gedanken, der auch im Zeit-Kommentar (http://www.zeit.de/2012/09/Martenstein) über das eigentlich nicht mehr vorhandene Empfinden einer Eigenverantwortung hinzu.
Wir leben in einer ANSPRUCHS-Gesellschaft, wobei ich das keineswegs auf die Politik reduziert wissen will (schließlich haben wir genau die Politiker, die wir verdienen), sondern als beeindruckend mehrheitsfähiger Anspruch. Die Frage stellt sich für viele in ihrem täglichen Tun (oder häufiger noch: Nicht-Tun) nicht, was jeweils der persönliche Beitrag (für eine Sache, eine Beziehung, eine Gesellschaft) sein kann, sondern welcher Anspruch ihm/ihr jeweils zustehe(n könnte). Demzufolge ist es systemimmanent, dass aus dieser Wahrnehmungsperspektive heraus keinerlei Eigenverantwortung logisch konstruierbar ist, da man ja selbst etwas zu bekommen habe. Politisch hat diese Trendwende für mich - in Österreich - einen prominenten Vater: Seit der Ära Bruno Kreisky suggeriert "die Politik", dass "der Staat" für alles sorge, aufkomme, alles finanziere ... Damit hätten wir doch die Verantwortung geklärt, oder? (Als Idealist, der sich darin erinnert, dass "der Staat" wir alle sind, bleibt weiterhin das tägliche Hochhalten meiner eigenen Verantwortung & tägliche Überzeugungsarbeit in meinem Umfeld)