Es herrscht immer wieder die Klage, dass gerade in Österreich (und auch in Deutschland) es keine Spitzenforschung gäbe. Dabei wird dann immer wieder das Schulsystem angeklagt. Ich persönlich bezweifle aber, dass dies eine Frage des Systems und der Struktur ist. Möglicherweise ist die Berichterstattung und die daran anschließende öffentliche bzw. auch politische Meinungsbildung selber ein Teil des Problems.
Ich versuche mal darzustellen, worin meines Dafürhaltens die Stärken des österreichischen Bildungssystems stecken:
- Allgemeinbildung: Der so oft wegen seines Umfangs kritisierte Fächerkanon an österreichischen Schulen vermittelt bei aller Reformbedürftigkeit einen auf ein breites Spektrum angelegte Bildung. Wenn ich an meine Schüler/innen denke, dann haben sie Gelegenheit über Naturwissenschaften und Mathematik genau so viel zu erfahren wie über Geschichte, Geographie aber auch Musik und Kunstgeschichte ... - Schule nicht nur eine Kaderschmiede für bestimmte gerade als nützlich erkannter Bereiche, sondern auch eine Schule der Bildung in einem umfassenden, humboldt'schen Sinne.
- Lebenspraktisch und Berufsorientiert: Ich weiß schon, da sind viele Gewerbetreibende und Industrielle möglicherweise anderer Überzeugung - aber im Vergleich stehen unsere Schulabgänger im Alter von 15 Jahren um vieles besser da, als jene in anderen Ländern. Was ich von meinen Schülerinnen und Schülern an meiner Hauptschule im Waldviertel erwarten kann, und was hier, das ist ein haushoher Unterschied. Schlicht und ergreifend, im angelsächsischen Schulsystem ist Lebenstüchtigkeit mit 15 so gut wie ausgeschlossen. Die Schüler/innen werden bis 18 im System gehalten, bekommen dann einen High-School Abschluss, mit dem sie so gut wie nichts anfangen können außer an einem College zu studieren - und hier gilt auch wieder: Wettbewerb ist alles - was ist aber mit jenen, die nicht 100% den Wettbewerbsregeln entsprechen können...
Eine weiter Spezialität des österreichischen Bildungwesen sind die diversen Höheren Lehranstalten - besonders jene im technischen und im touristischen Bereich sind weltweit praktisch ohne Vergleich. 5 harte Jahre sind die Jugendlichen hier herausgefordert - aber am Ende stehen sie als Fachleute da, die im angelsächsischen Raum schon als Akademiker gelten würden (wären sie älter und würde das ganze College heißen und mit einem Backalaureat abschließen). Diese Spezialität im österreichischen Bildungswesen ist so einzigartig, dass es kaum möglich ist, sie Nichtösterreichern zu erklären - abgesehen davon, dass es praktisch mangels Korrelation unmöglich ist diesen Schultyp griffig in eine andere Sprache zu übersetzen. - Offen für außerschulisches Engagement: Gerade bis zum 14. Lebensjahr ermöglicht der an den meisten Schulen nur Vormittags stattfindende Unterricht den Kindern, sich auf breitere Weise auch außerhalb der Schule einzubringen (und wer nicht in eine HTL geht und in einem Internat leben muss, kann das unter der Woche sogar weiter pflegen). Was Kinder und Jugendliche hier in den einzelnen Gemeinden im Rahmen der Musikschulen, Musikvereine, Feuerwehr, Jungschar, Jugendrotkreuz u.ä. leisten, wird in der ganzen Bildungsdebatte viel zu wenig gewürdigt, ist aber nichts desto trotz herausragend. So nebenbei: würde eine ganztägige Beschulung von Kindern und Jugendlichen flächendeckend eingeführt, würde es im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit in den Gemeinden über kurz oder lang zu gravierenden und wahrscheinlich nicht zum Besseren tendierenden Veränderungen kommen.
- Jedenfalls meine ich, dass sich gerade an österreichischen Schulen eine humanistische Tradition erhalten konnte, die in vielen anderen Teilen der Welt möglicherweise nie in solcher Breite vorhanden war bzw. verschwunden ist.
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