Donnerstag, 14. Mai 2009

Ehrfurcht und Respekt

  • Überfall Jugendlicher auf Gedenkveranstaltung in Ebensee mit nationalsozialistischem Hintergrund!
  • Tiefe und verletzende Äußerungen mit antisemitischem Hintergrund bei einer Führung durch Auschwitz
  • Schmierereien am ehemaligen KZ Mauthausen - Tatverdächtige freigesprochen - Ring Freiheitlicher Jugend jubelt
  • .....
Ich möchte mich an folgenden Punkten ein wenig abarbeiten - na da habe ich mir was aufgehalst. Aber nun ran an die Arbeit

  • Geiz ist geil
Dieser Slogan einer verbreitenden Elektronikhandelskette drückt meiner Meinung nach eine weithin dominierende Grundeinstellung in unserer Gesellschaft aus: Ich will möglichst viel ohne aber entsprechend viel dafür leisten zu müssen. Neben dem Egoismus, der sich dadurch ausdrückt, dass ein eigentliches Negativum (der Geiz) positiv aufgeladen wird, kommt hier noch dazu, dass indirekt die Persönlichkeit des Menschen als durch das Haben bestimmt gedacht wird. Ich bin, was ich habe! Wenn nun manche Menschen das Gefühl haben, in ihrer "Haben-Persönlichkeit" beschränkt zu werden, dann setzt der altbekannte Sündenbockmechanismus ein, mit dem Ziel, meine eigene Existenzangst durch Aggression gegenüber dem "Anderen" zu übertünchen.

In Bezug auf die letzten Vorkommnisse mit Jugendlichen heißt das für mich, dass viele Jugendliche in unseren Tagen in einem gesellschaftlichen Umfeld leben, welches kaum mehr ein Sensorium für Schwächere aufweise - selten träumen junge Menschen noch von einer gerechteren Welt; Verbindlichkeit und Beständigkeit werden gesellschaftlich kaum mehr wahrgenommen, selten gelebt und auch nicht mehr, gerade von jungen Menschen eingefordert.

  • Mechanistisches Bildungsverständnis (war schon gestern mal dran - gehört aber irgendwie her)
Die Reaktionen der verschiedenen Institutionen waren sehr verständlich, in ihren Anliegen auch hochlöblich, aber um - so bilde ich mir ein - in der Sprache Jugendlicher zu sprechen: Das ist einfach nicht sexy. Was meine ich damit? Auf dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der das Wort "Geiz" positiv umgedeutet wird, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass auf breiter Basis eine Erziehung zur Betroffenheit stattfinden kann. Die jungen Menschen werden immer mehr auf Edutainment gedrillt - Edutainment ist immer mehr Blaupause der Didaktik in unseren Schulen; Lernen mit Spass und guter Laune - nur wie soll das über die Verbrechen der nationalsozialistischen Ära funktionieren?

Abgesehen davon, dass der Schuss auch bei den bestvorbereiteten Stundenbilder und Initiativen nach hinten losgehen kann. Und wenn jetzt verschiedene Beispiele als gegenteilige herbeigezogen werden - z.B. Letters to the stars - dann sind diese Initiativen hervorragend und mögen gerade jene, die sowieso auf diesen Kanälen ansprechbar sind, auch in ihren Haltungen bestärkt und stabilisiert haben, aber ich denke kaum, dass das Gros oftmals gelangweilter Schülerinnen und Schüler dadurch in irgendeiner Weise verändert wurden.

So mancher Wirklichkeiten - seien sie positiv, wie in letztgenanntem Beispiel, seien sie negativ wie in den oben angeführten - sind oftmals medial vermittelte und vor allem vereinfachte/vereinfachende Wirklichkeiten
  • Erziehungsarbeit zusehendst in der Schule
Ich persönlich bin der Überzeugung, dass es zu wenig ist, angesichts der oben angeführt Vorgänge sich zu entsetzen; sich zu exaltieren, dass Jugendliche in nicht unerheblichem Maße Parteien wählen, deren Ideengebäude nicht gerade von Werten der Nächstenliebe, Toleranz und Völkerverständigung geprägt sind, und diverse, vor allem schulische Maßnahmen zu fordern. Wo die Bildungsverantwortung einer ganzen Gesellschaft im Grunde genommen versagt, kann die Schule so gut wie gar nichts verändern. Nicht mit den ambitioniertesten Programmen. Aber dieser Umstand wird geflissentlich verschwiegen, weil das Wissen darum könnte ja sehr viel in unserer Gesellschaft des "easy-going" in Frage stellen.

  • Kann aus beständiger Negation Positives erwachsen?
Einmal grundsätzlich meine Antwort: NEIN. Aber vielleicht sollten wir einen Satz J.F. Kennedy's wieder in unser Bewusstsein rufen - eigentlich viel mehr ihn durch gelebtes Vorbild in unsere Jungen einpflanzen: Frag' nicht, was die Gesellschaft für Dich tun kann; frag vielmehr Dich selbst, was Du für die Gesellschaft tun kannst. Das widerspricht natürlich Geiz ist geil - ist aber im letzten nachhaltiger

  • Victimisierung
Ich weiß leider nun wirklich kein schönes und griffiges deutsches Wort dafür - nur mal zur Erklärung: victim = Opfer. Victimisierung ist jene Haltung, die - sehr wohl oft mit mehr oder weniger großer Berechtigung - bestimmte Menschen, Gruppen, Institutionen - vielleicht auch mal Umstände für seine eigene Misere verantwortlich zu machen. Natürlich ist die Erkenntnis und Wahrnehmung als Opfer eines möglicherweise bestehenden Unrechts sehr wichtig, um überhaupt eine Lösung aus der ganzen Misere heraus zu finden - Victimisierung meint aber das passive sich Einzementieren in die Opferrolle. Und DAS ist für die Betroffenen absolut lähmend; führt zu einer generell negativen Lebenseinstellung und sorgt für den Sieg der Unrecht setzenden über den eigentlichen Tatbestand, über das eigentliche Unrechtsgeschehen hinaus. Aber zugegebenermaßen ist diese Haltung für viele Menschen die bequemere.

Bezüglich der Eingangs angeführten Vorkommnisse und deren Hintergrund heißt das für mich, dass nicht wenige Jugendliche in ihrem Leben eine gewisse Bedrohung erfahren bzw. durch Umstände und möglicherweise Fehlentscheidung immer mehr in einen Strudel hineingeraten, den sie selbst als Marginalisierung erfahren. Sie werden zu Opfern (von was auch immer) - und gerade wegen der Unfähigkeit die Ursachen ihrer Misere zu benennen, ist es für manche politische Rattenfänger ein Leichtes, ihnen mit einfachsten Erklärungen, Sündenböcke zu liefern - und das sind nun mal immer wieder die "Anderen"

  • Haben vor Sein?
Das habe ich eigentlich schon im ersten Abschnitt Geiz ist geil angedacht. Haben oder Sein ist ein populäres sozialphilosophisches Buch von Erich Fromm. An dessen Schluss fasst er ein paar Gedanken zusammen, die ich aus Wikipedia hier zitieren möchte:
    1. die Produktion habe der Erfüllung der wahren Bedürfnisse des Menschen und nicht den Erfordernissen der Wirtschaft zu dienen
    2. das Ausbeutungsverhältnis der Natur durch den Menschen wird durch ein Kooperationsverhältnis zwischen Mensch und Natur ersetzt
    3. der wechselseitige Antagonismus zwischen den Menschen ist durch Solidarität ersetzt
    4. oberste Ziele des gesellschaftlichen Arrangements seien das menschliche Wohlsein und die Verhinderung menschlichen Leids
    5. maximaler Konsum ist durch einen vernünftigen Konsum (Konsum zum Wohle des Menschen) ersetzt
    6. der einzelne Mensch wird zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben motiviert
natürlich könnte man da im einzelnen sich vertiefen, hinterfragen u.ä. - aber im Wesentlichen tut sich alleine schon mit dem Titel des Buches eine Grundfrage unserer (europäisch-nordamerikanischen) Gesellschaft auf. Alles ist auf Haben ausgerichtet. Am Sein scheint nicht wirklich wer interessiert zu sein. Und vor allem aber werden die jungen Menschen in ihrem Suchen auf sich allein gestellt. Gerade fällt mir dazu ein Bild ein: Kleinkinder bekommen einen Schnuller gereicht, wenn sie quengeln; damit sollte irgendwie im Alter von drei irgendwann Schluss sein - leider wird heute der Schnuller nur ersetzt von I-Pod, Handys u.u.u. - alles wird irgendwie lustlos gehabt, aber dahinter ist nicht selten eine traurige Leere, der man sich möglichst nicht stellen mag, weil diese wirklich enorm schmerzt.

  • Glaubenserziehung
Sein kann der Mensch aber letztlich nur in lebendigen Beziehungen. Im Angesprochen-Werden erfährt sich der Mensch als ein Du eines anderen und somit als Ich. In gewisser Weise vollendet ist dieses Mensch-Sein, wenn der Angesprochene dieses Angesprochen-Werden um seiner selbst willen - vor aller Leistung und trotz aller Schuld (Zitat: Vor aller Leistung, trotz aller Schuld.“ K. Kliesch, Spuren des Geistes, in: Bibel und Leben 28 (1989) 317-332) - erfährt. Letztlich kann dieses unbedingte Angesprochen-Sein nur durch Unbedingtes erfahren werden. Und die einzige unbedingte Wirklichkeit, die sich mir erschließt oder besser - die sich in Jesus Christus selbst erschlossen hat, ist die Wirklichkeit Gottes. Er ist jene unbedingte Wirklichkeit, die mich auch dann nicht verlässt, wenn ich nach menschlichem Ermessen komplett verlassen bin. Es ist aber auch Tatsache, dass diese allgegenwärtige Ansprache durch Gott nicht von selbst erschließt. Wir müssen uns einüben, diese Ansprache zu erfahren. Und wie immer beim Sprachenlernen braucht es dazu ein paar grundlegende, manchmal ziemlich staubige Werkzeuge:
  • Disziplin und Beständigkeit
  • Grammatik
  • Vokabel
Ohne diese drei würden wir niemals nicht einmal die Muttersprache beherrschen. In die Sprache des Glaubens übersetzt sind die drei Punkte:
  • Disziplin und Beständigkeit findet seinen Ausdruck in Gebet, Gottesdienst, Meditation
  • die Grammatik ist die Liebe
  • und die Vokabel sind in der Hl. Schrift
Das Problem heute ist, dass Glaube immer mehr wie eine Fremdsprache begriffen wird - ja sie sozusagen als Fremdsprache unter erheblichen Mühen gelehrt und gelernt werden sollte. Und dass das nicht immer ganz einfach ist, habe ich als Schüler im Englisch/Latein/Altgriechischunterricht zu Genüge mitbekommen. Ich habe aber auch mitbekommen, dass auch nach jahrelanger Absenz von einer Sprache es möglich ist, sie doch noch zu lernen - wenn auch nicht zur absoluten Perfektion (dazu war ich dann doch schon ein wenig zu alt).

Im Glauben ist es ganz ähnlich: Am besten wäre es wirklich, die Glaubensvollzüge im Alltag als Kind einzuüben. Wer als Kind die Wirklichkeit Gottes durch die Eltern, durch eine lebendige Gemeinde erfahren hat, übt die Sprache des Glaubens ein, erlernt die Glaubensgrammatik - Liebe spielerisch, hat zumindest einen Grundstock an "Glaubensvokabel" - Bibelstellen, Wissen über den Inhalt der Bibel, ja, und Disziplin und Beständigkeit mögen wohl manchmal wanken, oder vielleicht scheinbar ganz verschwinden, aber wenn man wirklich einmal etwas beherrscht, verlernt man es praktisch nicht mehr (Radfahren, Schwimmen - ja sogar Schifahren z.B. - vielleicht stellt man sich Anfangs ein wenig dumm an nach längerer Zeit bzw. hat keine Kondition - aber beherrschen tut man's dann doch ...).

Sekundäre Glaubenserziehung, die heute nicht selten die einzige ist, ist hingegen bei allem Mühen der damit Befassten (Religionslehrer/innen, EK-Mütter, Firmbegleiter/innen) ein Mühen vergleichbar damit, einem oftmals mäßig interessierten Teenager eine Fremdsprache zu vermitteln.

Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass junge Menschen, die sich wirklich als unbedingt geliebt erfahren, Taten wie die am Beginn angeführten setzen können. Ich möchte mal behaupten NEIN. Der sich unbedingt als geliebt erfahrene Mensch hat es nun nicht notwendig, sich, auf welche Art auch immer, an andere Menschen anzuhalten, bzw. sie niederzudrücken um selber höher zu scheinen. Ein solcher Mensch lebt aus seiner eigenen Stärke heraus - ohne auf andere herabsehen zu müssen, noch sich jeder herannahenden zeitgeistigen Mode an den Busen zu werfen (zeitgeistige Busen sind schmal und kommen sie noch so groß daher, geben nur wenig, dünne Milch, die noch dazu nicht selten schon im Mund verfault). Solche Leute benötigen es nicht, andere verächtlich zu machen; solche Leute lassen sich auch betroffen machen. Und solche Leute wissen, welche Grenzen dazu da sind überschritten zu werden und welche niemals überschritten werden dürfen, da sie garantiert in den Schlund des Verderbens führen.

1 Kommentar:

Maria Magdalena hat gesagt…

Lieber Gerhard,
Recht hast Du. Nur - wie holen wir Lehrer/Katecheten/Erzieher das nach, was in einem lieblosen Elternhaus versäumt wurde, wo Liebe durch Konsum ersetzt wird und Kommunikation nur als Einbahnstraße (schlimmstenfalls Fernseher -> Kind) erfahren wird?

Manchmal könnte ich heulen.

Liebe Grüße vom
Mariechen.